TheaterLust GbR
Kaspar Häuser Meer
von Felicia Zeller
Ja, sind sie noch zu retten? Die Zeit schlägt über ihnen zusammen! Die Zeit, gegen die sie eigentlich anschwimmen wollen: Anika, Barbara und Silvia, drei Sozialarbeiterinnen vom Jugendamt, unrettbar überforderte Retterinnen von meist rettungslosen Kindern. Vernachlässigt, misshandelt, herumgeschoben vom Heim nach Haus und wieder zurück, man will ja ihr Bestes, und wenn man mal dazu käme, sich mit einem Fall genauer zu befassen, dann könnte man auch…
Aber die drei Damen kommen ja kaum voran im Meer von Bedürftigen, Vergessenen, Verordnetem, Verschobenem. Barbara, die schon immer wusste, wie‘s geht auf dem Amt und bei den Leuten, und die eigentlich nur vom Strand unter Palmen träumt. Silvia, die die Wirklichkeit nur noch alkoholbetäubt übersteht. Und Anika, die alleinerziehende Kollegin, die sogar ihr eigenes Kind vernachlässigt vor lauter Arbeit. Und da wäre noch Björn, der Kollege, aber der liegt mit Burn-Out (Björn-Out) im Krankenhaus und simst liebe Grüße.
Drei Retterinnen im komisch-panischen Verzweiflungschor: Das ist KASPAR HÄUSER MEER von Felicia Zeller. Das ist Sprachakrobatik vom Feinsten, punktgenau treffender, bitterböser Witz. Sein Ziel: Kindesmisshandlung in Deutschland.
Zu diesem Thema bekam Zeller einen Schreibauftrag vom Freiburger Theater. Und sie wandte sich nicht den Opfern zu – bloß kein Sozialdrama! Sondern den Helfern. Rettungsschwimmern, denen so viele potentielle kleine Wasserleichen an den Füßen hängen, dass sie selbst fast mit absaufen. Die sich noch die letzte Luft nehmen mit Amts-, Sozial- und Psychosprech, ununterbrochen, kopflos, rasend schnell.
Was dabei zutage kommt? Ein grandioser, vielstimmiger, hastig-vitaler Rap über ein schockierendes Stück Leben heute.
„Zu faul, um zu arbeiten“ – so nennt sich Felicia Zeller. Kann nicht stimmen: 14 Stücke hat sie schon geschrieben, massenhaft Kurzprosa, außerdem macht sie Computerkunst, Literaturvideos und Kurzfilme. Geboren ist sie 1970 in Stuttgart, an der Filmakademie Baden-
Württemberg hat sie studiert, heute lebt sie als Theaterautorin und Medienkünstlerin in Berlin. Einen sogenannten Brotberuf hat sie nicht. Dafür immer ein Notizbuch dabei, in das sie alles schreibt, was sie hört, sieht und liest und für vielleicht verwendbar hält. In ihren Stücken – allesamt atemberaubend temporeich, frei von Pathos, dafür prallvoll mit Sprachwitz und Situationskomik – schaut sie ganz normalen Menschen beim Leben zu. Und beim Scheitern, beim sprachlichen wie beim menschlichen. Das sind Leute wie du und ich. Und immer auf Messers Schneide.
Mit ihrer Arbeit, mit ihrem – so sagt‘s ein Laudator – „rasenden Stillstand einer realistisch überdrehten Sprache“ erntet sie den angemessenen Erfolg: Stipendien und Stückaufträge. Den Clemens-Brentano-Förderpreis 2009 der Stadt Heidelberg. Und auch den Publikumspreis der Mülheimer Theatertage 2008 für KASPAR HÄUSER MEER.
"... 75 furiose Theaterminuten ... eine atmosphärisch unheimlich dichte Inszenierung ..." (Cuxhavener Nachrichten)
"Das Stück 'Kaspar Häuser Meer' war 2008 ein Auftrag an Felicia Zeller zum Thema Kindesmisshandlung - ein keinesfalls erheiterndes Sujet, aus dem die in Berlin lebende Schwäbin dennoch eine verblüffend komische Groteske machte.
Weder treten die Opfer noch ihre prekären Eltern auf, sondern nur Barbara, Anika und Silvia vom Amt. (...) Zeller baute ihnen ein gut geöltes Hamsterrad aus Amtssprache und Umgangsfloskeln. Darin drehen Carolin Engel, Edith Konrad und Christa Pillmann (...) versiert bis virtuos ihre Runden. (...) Regisseur Thomas Luft findet ... zwischen den bis zu mannshohen Stapeln aus Formularen immer wieder Gelegenheiten für einen verzweifelten Blickwechsel, eine ohnmächtige Geste, eine wortlose übermütige Gemeinheit und auch sanfte Verlangsamungen über das Hochdruck-Geplänkel hinaus. (Die Abendzeitung)
"Das Stück ist weniger Sozialdrama als vielmehr atemlose Groteske - Zeller hat ausgiebig unter Sozialarbeitern recherchiert. (...)die Jugendamts-mitarbeiterinnen Anika,
Barbara und Silvia (kommen) mit der Bearbeitung der Fälle (...) längst nicht mehr hinterher. Als auch noch ihren Kollegen der Burn-out ereilt, sind sie endgültig zu Laufradhamstern geworden. Entsprechend hastig reden sie. Wappnen sich mit Zynismus. Flüchten in den Alkohol.
'Kaspar Häuser Meer' wird derzeit häufig gespielt, in München ist es jetzt im 'Theater ... und so fort' zu sehen, in der Inszenierung von Thomas Luft. Der Mitbegründer von 'Theaterlust. Plattform für Theaterproduktionen' (...) und so bombardieren seine drei überzeugenden Schauspielerinnen das Publikum mit Sätzen im Stakkato. Dabei sitzen Carolin Engel, Edith Konrath und Christa Pillmann frontal zum Publikum, vor sich eine Tastatur. Spielerische Elemente gibt es ansonsten kaum. Luft vertraut allein auf die Wucht von Zellers Sprache." (Süddeutsche Zeitung)